Der Nürnberger Thomastag

Studenten beim Bummel in der AltstadtDie erste urkundliche Erwähnung des Thomastages findet man in Lutz Steinlingers Baumeisterbuch aus dem Jahr 1452, wo als Datumsangabe vermerkt ist: "zu sant Thomas - anno 1452". Nun, wie kommt Nürnberg zu einem "Thomas"-Tag, wo zu diesem Heiligen keinerlei Beziehungen bekannt sind?

Im Mittelalter war es üblich, daß alle 12 Apostel ihren Feiertag im Kalender hatten, so auch in Nürnberg durch Ratsbeschluß von 1525. Von diesen 12 Feiertagen blieben bis heute nur 2 übrig: der 24. Juni, der Tag des Sommerheiligen St.Johannes und der 21. Dezember, der Feiertag des Winterheiligen St. Thomas. Mythische Vorstellungen vom Tag der Sonnenwende mögen beigetragen haben, daß diese beiden Apostel ihren Feiertag behielten. St. Johannes feiert man bei der heute in der Bevölkerung noch sehr beliebten "Johannikärwa" und St. Thomas ist der Thomastag gewidmet, dessen Charakter als kirchliches Fest allerdings völlig verloren ging. Solche Kirchenfeste waren auch früher allemal ein Grund, weltlichen Freuden ausgiebig zuzusprechen, wie ja heute auch noch, besonders bei der Kirchweih.

Der Thomastag wurde dabei besonders ausgiebig gefeiert, weil an ihm, dem 4. Advent, die damals streng eingehaltene adventliche Fastenzeit zu Ende ging und darüber hinaus der Jahreslohn an die Dienstboten, Gesellen und Tagelöhner ausgezahlt wurde. Als zu Beginn des l7. Jahrhunderts sich der Christkindlesmarkt etabliert hatte, gewann der Thomastag als vorweihnachtliches Fest noch an Bedeutung. Wenn man im Ratsbuch von 1527 liest, daß für die Versorgung der 30.000 Einwohner am "St Thomas abent" über 1.500 Fahrzeuge die fünf Haupttore Nürnbergs passierten, um Versorgungsgüter anzutransportieren, kann man sich vorstellen, wie es 100 Jahre später, als der Christkindlesmarkt zusätzlich viele Menschen anlockte, zuging.

Daß sich, nachdem das Nürnberger Gymnasium in Altdorf 1623 Universität wurde, bald auch deren Studenten in das bunte und ausgelassene Treiben mischten, ist nur allzuverständlich, waren und sind Studenten nun mal nicht als Asketen bekannt. Die Tatsache, daß ab dieser Zeit Studenten den Thomastag mitfeierten ist oft mit geradezu hanebüchenen Argumenten erklärt worden. Die schlichte Wahrheit ist die, daß sie auf dem Weg nach Hause in der großen, bunten Stadt noch etwas erleben wollten. Sie feierten Abschied voneinander und die Nürnberger Studiosi sind sicher oft erst spät mit ihren Kommilitonen, die bei ihnen die Weihnachtsferien verlebten, weil die Heimreise zu lang war, im elterlichen Hause angelangt. Daß sie auf der Heimreise noch Geschenke für ihre Familie einkauften, darf in das Reich der Fabel verwiesen werden. Geld dürften lebenslustige Studenten auf ihrer Heimreise sicherlich keines mehr gehabt haben.

Nach Gründung der Erlanger Universität 1743 gesellten sich deren Studenten auch dazu. Trotzdem dürften sie in der Menge kaum aufgefallen sein, waren es doch damals nicht viel mehr als zusammen 300. Noch immer war der Thomastag ein rein bürgerliches Fest. Dies wurde noch verstärkt. durch die "Heiratskasse", eine 1805 gegründete Aussteuer- und Versorgungskasse, eine Lotterie, an der sich alle Unverheirateten beteiligen durften. Auch andere bürgerliche Gesellschaften feierten den Thomastag mit Veranstaltungen, Bällen, Festessen und Trinkgelagen. Z.B. die "Thomasbrüder", eine Gesellschaft von Künstlern, die im "Goldenen Schwan" in Lichtenhof zusammenkamen.

Der Nürnberger Mundartdichter und Stadtflaschner Konrad Grübel erwähnt in seinen Gedichten den Thomastag des öfteren, erwähnt aber nie Studenten oder deren Gebräuche. Die Studenten nahmen sozusagen als Bürger am Thomastag teil und feierten formlos und ohne jedes Reglement mit. Dabei zogen sie von Kneipe zu Kneipe, worin einige Historiker den Ursprung des Thomasbummels sehen.

Korporationen in heutigem Sinne gab es damals noch nicht. Sie entwickelten sich erst zu Beginn des l9. Jahrhunderts aus den alten Landsmannschaften und den freimaurerisch beeinflußten Studentenorden, vor allem aber auch durch die Gründung der Burschenschaft l8l5. Als eine der ältesten modernen Verbindungen gilt das Erlanger Corps Onoldia, das als Gründungsdatum das Jahr 1798 führt. Das heutige Erscheinungsbild des Farbenstudenten mit Band und Mütze ist also erst ca. 175 Jahre alt. Das älteste Dokument über das Tragen von Brustbändern ist ein Stammbuchblatt aus dem Jahr 1801, das die Vertreter der vier Erlanger Corps im Schmuck ihrer Brustbänder zeigt.

Der erste Bericht über die Teilnahme einer Verbindung am Thomastag stammt aus einem Brief des Gründers des Erlanger Corps Bavaria Blumröder, in dem er seinen Eltern davon berichtet. Dann fließen die Quellen spärlich. Interessant ist eine Notiz in den Annalen des Corps Bavaria, wo es heißt, (1874) "als wir in corpore den altherkömmlichen Couleurbummel in der von allen möglichen Farben frequentierten Kaiserstraße machten".

Im Fränkischen Kurier erschien neben anderen Einladungen bürgerlicher Vereine erstmals 1869 ein studentisches Inserat das sich auf den Thomastag bezieht. 1880 laden schon sieben Verbindungen zu ihrer Thomaskneipe, 1897 sind es vierzehn u.a. aus München und Aschaffenburg. 1878 nimmt das Münchner Corps Herzynia zum ersten Mal am Thomastag teil, seitdem jedes Jahr bis auf die Kriegsjahre, wo der Thomastag ausfiel, heuer also zum 103. Mal!

Der Couleurbummel wird erstmals 1897 öffentlich erwähnt (Fränkischer Kurier). In dem Inserat heißt es u.a. "nachmittags 3 Uhr allgemeiner Couleurbummel durch die Straßen Nürnbergs." Es handelte sich aber nicht um den heute bekannten, polizeilich genehmigten Bummel durch Königs- und Karolinenstraße, sondern "durch die Straßen Nürnbergs" nur für diese eine Verbindung. Das Couleurbummeln war eine beliebte Sitte der Farbenstudenten um zu sehen und gesehen zu werden. Dies ist der Grund für das Entstehen des Bummels und nicht andere Fakten wie z.B. die Auflösung der Altdorfer Universität, die einen Protestmarsch der Studenten zur Folge hatte, der angeblich zu einer ständigen Wiederholung geführt hätte. Namhafte Historiker verweisen eine solche Ansicht ins Reich der Fabel.

Aus dem Jahr 1898 liegt ein zeitgenössischer Bericht über den Thomasbummel vor: "...., der wird versucht sein, Nürnberg für eine Universitätsstadt, und zwar für eine recht stark besuchte zu halten, zumal. wenn er nachmittags zwischen 3 und 5 Uhr die Kaiserstraße passiert." Um die Jahrhundertwende erfuhr der Thomasbummel eine starke Ausweitung, da durch den Wirtschaftsaufschwung nach dem Krieg 70/71 die Studentenzahlen stark anstiegen. 1908 gab es eine Neuerung: Der Bummel beschränkte sich nicht mehr auf die Kaiserstraße, sondern dehnte sich auf die Karolinenstraße aus. Im Krieg 14/18 gab es keinen Bummel. 1919 nahmen etwa ein Dutzend Verbindungen den Brauch wieder auf und 1 Jahr später wurde er wieder in gewohntem Umfang durchgeführt. 1921 mußte die Polizei zur Wahrung der Verkehrssicherheit eine besondere Verordnung herausgeben und 6 Jahre später, 1927 wurde der Bummel nach Polizeivorschrift so durchgeführt, wie wir ihn heute kennen.

Der letzte Bummel vor dem 2.Weltkrieg wurde 1934 durchgeführt, dann verbot Hitler alle Studentenverbindungen. Erst nach 17 Jahren, am l6. Dezember 1951 fand unter sehr feindlichem Pressefeuer wieder ein Bummel statt. Die Bevölkerung indessen nahm die Farbenstudenten freundlich auf. Mehr als 1.000 Farbenstudenten von ca. 50 Verbindungen bummelten wie ehedem durch die Stadt, trotz strömenden Regens von einem dichten Spalier freundlicher Passanten und Schaulustiger begrüßt.

Heute ist der Nürnberger Thomastag eine rein farbenstudentische Angelegenheit geworden. Ohne die Studenten gäbe es keinen Thomastag mehr. Er ist eine im deutschsprachigen Raum einmalige Erscheinung. Nirgends sonst kommen so viele Farbenstudenten aus so vielen unterschiedlichen Verbindungen zusammen um ein Wiedersehen zu feiern, um alte Freundschaften zu erneuern und um die Idee des Farbenstudententums zu demonstrieren und sich dazu zu bekennen: Das Anstreben frei gewählter Ideale in lebenslanger Freundschaft.